Entscheide

Veröffentlicht am 21. Dezember 2023 um 08:15

Zurück in Kathmandu genossen wir noch einmal das Stadtleben und machten Ausflüge in dessen Umgebung. Zufälligerweise fand zu diesem Zeitpunkt auch noch «Diwali», ein bedeutendes mehrtägiges hinduistisches Lichterfest, statt. So durften wir die Stadt in einem nächtlichen Meer aus Lichtern, Menschen, Musik und Tanz erleben. Vollbeladen mit all den vielen schönen Eindrücken verliessen wir dann aber das Kathmandu-Tal in Richtung Terai, der fruchtbaren Tiefebene südlich des Himalayas. Ein letztes Mal fuhren wir durch die grünen Täler entlang verschiedener Flussläufe, bis die Berge irgendwann zu Hügeln wurden und wir schliesslich das Flachland erreichten. Wir steuerten den Chitwan Nationalpark an und fanden kurz davor einen herrlichen Übernachtungsplatz auf dem Fussballfeld eines kleinen Dorfes. Einmal mehr wurden wir zur Dorfattraktion und sozusagen als Gegenleistung sassen wir mittendrin im alltäglichen Dorfleben. Dies beinhaltete auch die morgendlichen und abendlichen Flussüberquerungen der Elefanten sowie ein Nilpferd, welches seelenruhig eines Abends vorbei an uns über den Fussballplatz trottete – wo gibt’s denn so was?😊
Danach nahmen wir die letzten gut 130 km bis an die Nepalesisch/Indische Grenze bei Sonauli unter die Räder. Noch einmal forderte die mit Baustellen und schlechtestem Strassenbelag gesäumte Strecke einiges von uns ab. Ja, was die Strassen angeht, hofften wir wirklich auf massive Besserung in Indien.

Nach gut 6 Wochen Nepal standen wir nun an der Grenze zu Indien. In uns kam ein mulmiges Gefühl auf. Was erwartete uns die nächsten 3 Monate im mit über 1.4 Mrd. Menschen meist bevölkerten Land der Erde (Indien überholte China im 2023)?  Die vielen gehörten Geschichten und Schilderungen ermutigten uns nicht gerade: Absolut keine Privatsphäre, überall zugemüllt, luftverschmutzt und laut, inkl. 100 % Durchfallgarantie. (Zu ein paar Wochen Malediven als Alternative hätten wir zu diesem Zeitpunkt wirklich nicht «nein» gesagt😊). Abes was solls, rein ins Vergnügen! Der Grenzübertritt verlief schon mal problemlos. Wir mussten zwar auf beiden Seiten die offiziellen Pass- und «Carnet de Passage»-Stempelbüros suchen, der Rest verlief aber reibungslos. Zu unserem Erstaunen wollte niemand unser Fahrzeug inspizieren und so fuhren wir los in der Annahme, der Kontrollposten käme dann schon noch, was aber nicht passierte. Uns war’s recht und wir steuerten unser erstes Ziel Varanasi an. Eines nahmen wir bereits nach den ersten Fahrkilometern mit Freude zur Kenntnis: Die Qualität der Strassen und Highways war wieder fahrwürdig, es hatte wenig Verkehr und wir konnten endlich mal wieder richtig Strecke machen – Hallelujah! Wir kamen so gut voran, dass wir es tatsächlich bis nach Varanasi schaffen könnten. Mittlerweile war es schon am Eindunkeln und wir standen vor der Entscheidung, einen Platz ausserhalb der Stadt zu finden (dessen Chancen standen schlecht) oder unser Kredo zu brechen, niemals in der Nacht zu fahren (und schon gar nicht durch eine 12 Mio. Stadt) und den vorher ausgesuchten Platz im Süden der Stadt anzufahren. Wir entschieden uns für Letzteres und pflügten uns dem Navi folgend mitten durch die Stadt. Hätten wir im Vorfeld gewusst, durch welche engen und komplett mit Leuten, Autos und Tuk Tuks verstopften Gassen wir gelotst würden, hätten wir’s definitiv nicht gemacht. Aber hey, no risk, no fun. Irgendwann erreichten wir komplett durchgeschwitzt, müde und glücklich unser Domizil «Lime Villa», wo wir von dem Besitzerpaar herzlich empfangen wurden und den Ländi auf dem Vorplatz parken konnten.
Die nächsten Tage verbrachten wir mit Sightseeing in der eindrücklichen und uralten Stadt, welche direkt am für Hindus heiligen Fluss Ganges liegt. Die ganze Szenerie gefiel uns sehr gut und auch die Menschenmassen hielten sich in Grenzen. Was wir aber nicht verstanden (und nie verstehen werden), wie man einen ach so heiligen Fluss so zumüllen kann? Das Angebot eines frischen Fisches aus dem Ganges haben wir jedenfalls eines Abends dankend abgelehnt und uns am leckeren Gemüse-Curry erfreut.
Unsere Reise ging weiter in den kleinen Ort Khajuraho. Eigentlich ein verschlafenes Nest, wären da nicht diese Tempelanlagen aus dem 12. Jahrhundert der Chandela-Dynastie mit ihren hunderten erotischen Skulpturen (wahrscheinlich ein in Stein gemeisselter Vorgänger des heutigen «Playboy»-Magazins😊. Auf jeden Fall wird bis heute über den Sinn oder dessen Bedeutung gerätselt). Die 20 verbliebenen der ursprünglich 85 Tempel sind umrundet von schönen, gepflegten Gartenanlagen und definitiv einen Besuch wert.
Unabhängig davon fing uns Indien an zu gefallen und so hielten wir an unserem ursprünglichen Plan fest, runter an die Ostküste an den Golf von Bengalen zu fahren. Dies taten wir dann in den nächsten 5 Tagen auch. Wir legten weitere 1'600 km zurück, fanden schöne, teilweise sogar einsame Übernachtungsplätze und erfreuten uns an der abwechslungsreichen Landschaft. Auch bekamen wir überall die Gastfreundschaft der Inder zu spüren. An einem Tag wurden wir beispielsweise gleich zweimal von verschiedenen Familien zum Essen eingeladen. Die halbe Verwandtschaft erschien, es wurde gegessen, gelacht und ununterbrochen fotografiert.
Dann war es so weit: Wir standen, nach dem Schwarzen Meer in Georgien und mehrmonatiger Reisezeit, kurz vor der Stadt Chennai endlich wieder einmal am Meer – ein schöner Moment. Weniger schön war, dass sich draussen auf dem Meer zu diesem Zeitpunkt ein Zyklon zusammenbraute, welcher in den nächsten Tagen auf Land treffen und mehr als genug Wind und Regen bringen sollte. Ein neuer Plan musste her, da wir eigentlich der Küste folgend bis ganz an die Südspitze fahren wollten. Wir entschieden uns für die Trockenvariante und die im Landesinnern liegende Stadt Bangalore. Da sowieso wieder ein Ländi-Ölwechsel auf dem Programm stand und es da mehrere gute Garagen zu geben schien, machte dieser Entscheid Sinn. Gesagt, getan. Einmal mehr machten wir in einer grossen Metropole halt. Bangalore gilt als die High-Tech-City Indiens. Hier finden sich viele IT-Firmen und unzählige Start-Ups und so zieht es gerade viele jungen Leute in die sehr westlich geprägte, hippe Stadt. Auch uns gefiel sie. Der Land Rover bekam neues Öl und wir fanden in Gehdistanz zu unserem Hotel mit dem «Toit Brewpub» eine geniale Kneippe mit richtig gutem, selbstgebrautem Bier und leckerem Essen.  
Gestärkt fuhren wir weiter nach Mysore, wo wir den schmucken «Mysore Palace» besuchten und einen schweisstreibenden Fussmarsch auf den Chamundi Hill unternahmen. Auch in Mysore waren wir (wie überall, wo wir mit unserem Ländi erscheinen) die kurzzeitige Hauptattraktion. Die Leute schauen vorbei, dann folgt die Frage «Which country?», gefolgt von unserer immer gleichen Erklärung von wo wir kommen, wie lange wir unterwegs sind und dass wir tatsächlich die ganze Strecke auf dem Landweg zurückgelegt haben. Zudem interessiert auch immer der Preis unseres Gefährts oder in seltenen Fällen die Antwort auf die Frage, welcher Kaste wir angehören und ob es sich bei uns um eine «Love Marriage» (Heirat aus Liebe) oder «Arranged Marriage» (arrangierte Heirat) handelt. Diese Erklärungen können dann auch mal etwas länger dauern😊. Zugegeben, zwischendurch kann das Ganze auch mal nerven, aber in den allermeisten Fällen bedanken sich die Besucher nach ein paar Minuten, machen noch ein paar Fotos und verabschieden sich danach wieder. Damit können wir gut leben und oft erfährt man dabei auch noch etwas Interessantes oder kriegt einen Tipp für ein Restaurant oder eine Sehenswürdigkeit. Gegen was wir hingegen allergisch sind, sind Auto- oder dessen Beifahrer, welche uns während der Fahrt filmen und uns dabei oft so nahekommen, dass es wirklich richtig gefährlich wird. Da die Inder im Ranking der schlechtesten Autofahrer eh schon auf unserem Platz 1 stehen, machen diese Aktionen echt keine Freude.

Nach Mysore ging unsere Fahrt weiter via Madikeri durch eine schöne, hügelige Landschaft mit viel Dschungel und mehreren Kaffeeplantagen, bis wir bei Kannur erstmals auf die Küste des Arabischen Meeres trafen. Nach der vielen Fahrerei der vergangenen Tage schalteten wir einen Gang runter und genossen wieder einmal ein paar Tage direkt am palmengesäumten, filmreifen Sandstrand. Für grossen Aktionismus war es eh zu heiss: Tagsüber zeigte das Thermometer 32° und in der Nacht 26°, dies bei einer Luftfeuchtigkeit von über 90%. Auch das Meer bot mit rund 30° keine wirkliche Abkühlung😊
Erholt fuhren wir danach weiter die malerische Westküste hoch mit Stopps in Kasaragod und Mangaluru. Hier zeigte sich am folgenden Beispiel, wie preiswert das Leben für uns Reisende sein kann: Ich musste zum Ohrenarzt, um mir ein festgewachsenes Wattestäbli-Büschel entfernen zu lassen und kriegte dazu Ohrentropfen. Danach liess ich mir beim Barber die Haare schneiden und anschliessend gönnten wir uns ein feines Nachtessen an einem Strassenstand. Für diese 3 Dienstleistungen bezahlten wir umgerechnet gerade einmal CHF 11.-
Mit frischem Haarschnitt und freiem Gehörgang ging es für uns weiter bis zum Pilgerort Gokarna. Gemäss Reiseführer zählt dieser Ort zu den Highlights. Wir konnten diese Begeisterung leider nicht teilen, da das ganze Dorf einer einzigen Kloake gleichkommt – igit. Da die umliegenden Strände aber wirklich einen Aufenthalt wert sind, suchten und fanden wir ein lauschiges Plätzchen etwas ausserhalb des Dorfes. Neben Beachlife war es nun wirklich an der Zeit, unsere weitere Reiseroute zu planen. Kein einfaches Unterfangen. Bis Indien war der Plan klar, aber was nun? Sollen wir den Ländi in Mumbai in einen Schiffskontainer packen und nach Australien, Südamerika, in den Oman oder doch nach Afrika schippern? Oder wählen wir den Landweg? Wenn ja, welche Variante? (Für was würdest du dich entscheiden?) Wir brauchten ein paar Tage und viele Diskussionen über die Vor- & Nachteile, bis der Entscheid für uns plötzlich sonnenklar war: Diese Reise muss auf dem Landweg weitergehen! Und so sieht unser Plan für die nächsten Monate aus: Wir fahren via Mumbai, Agra (Taj Mahal) und Neu Dehli wieder in den Norden Indiens, um den einzig möglichen Grenzübergang zu Pakistan zu passieren. Danach geht’s weiter in den Iran, mit der Fähre rüber nach Dubai, in den Oman und nach Saudi-Arabien. Wir freuen uns riesig darauf!

Es ist kurz vor Weihnachten und wir sitzen am Strand mit Blick auf das weite Meer. Uns gefällt unser aktuelles Leben😊
Wir wünschen euch von Herzen schöne Festtage und senden ein paar wärmende Sonnenstrahlen aus dem faszinierenden Indien!

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Kommentare

Andrea Haag
Vor einem Jahr

Wie immer sehr spanned euer Reisebericht. Für die weiteren Abenteuer und fürs neue Jahr viel Glück und bleibt gesund. Liebe Grüsse, Andrea

Daniela Hürzeler
Vor einem Jahr

Hey Tampa's
So cool Eure Auszeit mit den abenteuerlichen Reiseberichten.
Ich wünsche Euch ein tolles 2024 mit vielen glücklichen Momenten und weiterhin viel Glück und Spass. Grüsst mir den Oman, ein tolles Land, wie auch die Omanis. Händs guet, bliibet gsond ond es härzlechs Danke, Grüessli Daniela