Zahltag

Veröffentlicht am 5. November 2023 um 12:30

Nepal ist unglaublich kontrastreich. Auf einer Fläche, etwa halb so gross wie Deutschland, sind alle Klimazonen anzutreffen. Neben der Himalaya-Region im Norden mit dem Mount Everest und noch weiteren sieben 8’000ern trifft man gut 200 km weiter südlich auf das Flachland des «Terai» mit subtropischem Klima. Es leben mehr als 60 verschiedene Völker mit unterschiedlichsten, Sprachen, Traditionen und Religionen in diesem faszinierenden und farbenfrohen Land. Neben Grossstädten wie Kathmandu oder Pokhara leben die Leute mehrheitlich in kleineren oder mittelgrossen Dörfern. Auch solchen, welche noch heute nur zu Fuss oder aus der Luft erreichbar sind. Die Menschen sind sehr neugierig und interessiert und die Verständigung ist relativ einfach, da sehr viel Englisch gesprochen wird. So führen wir wieder unzählige Gespräche über unsere bisherige Reise, die Ausstattung und der Preis unseres Land Rovers, ob wir verheiratet sind und wo eigentlich unsere Kinder sind (zu all den Themen haben wir mittlerweile passende Antworten auf Lager😊). Auf der Gegenseite erfahren wir viel über das Leben und die Herausforderungen der Leute. Und die Problemzonen Nepals sind umfangreich: Schlechte Strassen & Infrastruktur, Luft- & Umweltverschmutzung, Korruption, Misswirtschaft, fehlende Jobs (mal abgesehen von Landwirtschaft und Tourismus) und Perspektivenlosigkeit. Dies betrifft vor Allem die jungen Menschen, welche zum Studium oder Arbeiten wann immer möglich ins Ausland abwandern. Zwar senden diese dann Geld nach Hause (was ca. 30% der Wirtschaftsleistung ausmacht!), fehlen dem Land dann aber für den dringend benötigten Wandel und Aufbau – ein Dilemma. Zudem wird das Land regelmässig von Erdbeben durchgeschüttelt. Natürlich sind die Meisten davon absolut harmlos, aber es gibt auch immer wieder grössere Eruptionen mit Schäden und Todesfolge.
Wir wünschen den Menschen hier ruhigere Zeiten und eine bessere Zukunft – denn sie leben in einem wunderbaren und faszinierenden Land.

Wir sind nun 1 Monat in Nepal und diese Zeit hat uns sehr gutgetan. Schon die Einreise verlief problemlos. Das 3 Monats-Visum konnten wir an einem einfachen «Strassenstand» gegen vorzeigen des im Voraus ausgefüllten elektronischen Visumantrages und 150.- US Dollar erwerben. Für den Ländi zückten wir das allererste Mal das «Carnet de Passage», welches jeweils bei der Ein- & Ausreise abgestempelt werden muss (damit wird garantiert, dass das importierte Fahrzeug auch tatsächlich wieder ausser Land geschafft wird).
In uns keimte endlich wieder dieses wohltuende Freiheitsgefühl auf. Daneben bemerkten wir aber ab dem ersten Meter, dass Strassenbau wohl nicht zum Nepalesischen Meisterfach gehört. Da es in den Tagen vor unserer Einreise geregnet hatte, präsentierte sich die mehrheitlich einspurige Strasse ab der Grenze auf diversen Passagen als schlammige Matchpiste. In Kombination mit dem Gegenverkehr ergab das oft eine sehr interessante und nervenaufreibende Mischung😊. Mal abgesehen von der Strassenbeschaffenheit gefiel uns die abwechslungsreiche Fahrt bis nach Kathmandu aber sehr und wir waren überrascht und erfreut, bereits hier auf ein eher tropisches Klima zu treffen. Die Strasse schlängelt sich im ersten Teil dem Fluss und engen Tal entlang, schraubt sich mehrere Male in die Höhe, führt durch schöne, farbige Bergdörfer und eine herrlich grüne Landschaft bevor es auf den Talboden zurückgeht und das Tal sich etwas weitet. Für die 150 km lange Strecke benötigten wir geschlagene 8 Stunden. Wenigstens konnte man sich so gemächlich an den geltenden Linksverkehr gewöhnen und spätestens bei der Anfahrt auf Kathmandu waren wir froh drum, da der Verkehr und das Gewirr auf den Strassen drastisch zu nahm. Wir peilten eine auf Offroad-Fahrzeuge spezialisierte Garage an, bei welcher man im Hinterhof auch gleich sein Lager aufschlagen kann. Und genau das machten wir dann auch für die nächsten 10 Tage. Wir genossen das «Nichtstun», schlafen in unserem eigenen Bett, selber kochen, erkundeten das Quartier um uns herum und natürlich auch das Zentrum Kathmandus mit seinen unzähligen Sehenswürdigkeiten und dem geschäftigen Treiben in den Gassen. Im Wissen, dass das Ganze ein paar Wochen in Anspruch nehmen würde, starteten wir zudem auch bereits den Visa-Prozess für unsere nächste Destination Indien. Den Land Rover konnten wir in der Zwischenzeit in die professionellen Hände der Mechaniker übergeben und es war höchste Zeit dafür. Die zurückgelegten Kilometer und teils groben Strassenverhältnisse hatten weitere Spuren hinterlassen. Diverse Gummipuffer, Aufhängungselemente und die hinteren 2 Stossdämpfer mussten nämlich ersetzt werden.
Ein Highlight dieser Tage war auch das Treffen mit meiner Cousine Carmela, welche für ein zweiwöchiges Trekking zum Mount-Everest Base Camp nach Nepal kam und so konnten wir nach ihrer Ankunft in Kathmandu ein paar unterhaltsame Stunden zusammen verbringen.

Danach waren der Ländi und wir beide wieder fit für neue «Schandtaten» und so machten wir uns auf in Richtung Pokhara, der zweitgrössten Stadt Nepals. Natürlich dauerte auch diese Fahrt wieder Stunden, da die Strassenqualität, wie im ganzen Land, wirklich grottenschlecht ist. Ohne Baustellen, Schlaglöcher, Staub und Dreck geht’s anscheinend nicht und dies ist für die an der Strasse lebenden Bevölkerung eine echte Zumutung. 100 km Fahrt pro Tag waren genug und so genossen wir einen erfrischenden und durstlöschenden Zwischenhalt im Biergarten der «Barahsinghe»-Brauerei und einem genialen Schlafplatz direkt am Fluss. Nach einem weiteren Abstecher zum sehenswerten Bergdorf Gorkha erreichten wir folglich Pokhara. Die am schönen Phewa-See gelegene Stadt und dessen Umgebung gefiel uns auf Anhieb. Aufgrund des klaren, wolkenlosen Himmels in den Morgen- und Abendstunden konnten wir jeweils das sensationelle Panorama der schneebedeckten Himalaya-Riesen Annapurna, Machapuchare und Lamjung bestaunen. Die Tage verbrachten wir mit Wanderungen z.B. zur «World Peace Pagode», Baden im Fluss (inkl. Blutegel-Entnahme) und Besuchen weiterer Sehenswürdigkeiten in der Umgebung. Bleibend ist auch die Bekanntschaft mit Pasang, einer Exil-Tibeterin, welche in Pokhara seit über 30 Jahren selbst hergestellten Schmuck verkauft. Wir kamen mit der herzlichen Frau zufällig ins Gespräch und besuchten sie in der Folge ein paar Mal. Sie zeigte uns danach ihr Tibetisches Dorf Tashiling und lud uns zu sich nach Hause ein, wo wir zusammen mit ihrem Mann ein herrliches Nachtessen und Gastfreundschaft geniessen durften.  
Nach gut einer Woche verliessen wir Pokhara um nach Besisahar zu fahren. Die Stadt gilt als Ausgangspunkt für das Annapurna-Trekking, eine der bekanntesten Trekking-Routen Nepals. Die ersten 100 km und 3'000 Höhenmeter bis nach Manang können dabei auch mit einem passenden Fahrzeug befahren werden. Es war also wieder einmal Zeit für ein echtes Offroad-Abenteuer! Und die Route stellte tatsächlich alles in den Schatten, was wir bislang an Offroad-Strecken gefahren waren. Meistens einspurig, mit vielen ausgesetzten, ungesicherten Stellen, mal eng am Fels anliegend mit direktem Blick auf den 100 m weiter unten tosenden Fluss, unzähligen Passagen mit losem Gestein und Schlaglöchern, diversen Serpentinen und viel Gegenverkehr forderte uns die Strecke wirklich einiges ab. Aber der beschwerliche Weg lohnte sich. Wir wurden mit einer einmaligen Landschaft belohnt, fuhren durch viele schöne Bergdörfer und erreichten am Ende das auf 3'700 m.ü.M. liegende Manang bei strahlendem Sonnenschein. Nun standen wir also da, mit Blick auf das Annapurna-Massiv und die weiteren 6- oder 7-Tausender in der Umgebung – was für ein Anblick und Glücksmoment! Es war unser geografisches Reiseziel, von der Schweiz nach Nepal und so nah wie möglich an einen der Himalaya 8’000er zu fahren und genau das hatten wir an diesem perfekten Tag, nach gut fünfmonatiger Reise und 24'000 zurückgelegten Kilometern tatsächlich geschafft.

Ist es nicht verrückt, die Jobs zu kündigen und eine solch beschwerliche Reise ins Unbekannte zu unternehmen? Nein, im Gegenteil! Es wäre verrückt, dieses Ziel nicht weiter zu verfolgen oder es gar nicht erst zu versuchen.
Was wir während unserer Reisezeit bislang alles erleben durften ist schlichtweg unglaublich. All die faszinierenden Landschaften, das leckere Essen, die fremden Kulturen, die inspirierenden Begegnungen mit lokalen Menschen und all den anderen Reisenden sowie den Goodwill auf den man überall trifft. Alle diese Erlebnisse überwiegen bei Weitem die immer wieder aufpoppenden Herausforderungen. Aber auch diese braucht’s, um etwas zu Lernen und es beim nächsten Mal hoffentlich besser zu machen. Reisen ist Lebensschule pur und wir haben eigentlich jeden Tag «Zahltag». Wir sind demütig und dankbar, dieses Privileg hier und jetzt leben zu dürfen.  

Wir hoffen, etwas Inspiration und Anschubhilfe für eure eigenen Projekte und Ziele auszustrahlen und bedanken uns an dieser Stelle herzlich für die vielen schönen Kommentare und Nachrichten aus der Heimat oder sonst von wo. Wir freuen uns immer von euch zu hören – hört also nicht damit auf😊

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Kommentare

Mary und Mandi
Vor einem Jahr

Ehr Zwöi Liebe
Was ehr scho alles erläbt hend, das esch ongloublech spannend. Mängisch tschuderets eim fascht ond handkehrum beniedemer üch ganz fescht, eifach all die Naturwondrr dörfe zerläbe.
Häbid wiiterhe ganz vöu tolli begägnige

the ösi
Vor einem Jahr

wow!! wahnsinns-bilder und geschichten! danke euch für die tollen eindrücke - ihr seht super super glücklich aus! geniesst es weiterhin - auch für uns "zurückgebliebene" ;)

Ruth & Family
Vor einem Jahr

Hej ehr zwöi unglaubliche Weltenbummler! Schön gohts üch so super👍 …Und mer sei immer weder fasziniert vo üchne traumhafte Bilder & Bericht👍 Gniesset wieter Land & Leute, mit all derne special Eigeheite. Mer gönne üch no es langs Zytli „on tour“, echli Reiseglück & sogar mol es déjà-vu au för üs! Alles Gueti und vel vel Spass & wieterhe die richtig Portion Glasseheit ;)

Oliver käslin
Vor einem Jahr

Hit bin ich ä haubi Stund total abdaichd in änere komplett andri Wäut. Offroad-Tourä dur haarsträibendi Straasse, wunderbare Biuder vo Seeä, Berge und unwirkliche Landschafte. Aber ai immer die wunderscheene Begegnigä mit Mensche vo dert. Liebi Tamara und liebä Pädi, ich mecht mich ganz härzlich bi Eych bedanke, dass miär a eychne Abenteyir derfid teilnäh! Äs tued miär soo gued mid eych churz ä Stund oder ä haubi iiztaiche in ä andri Wäut mit zwe vertruitä Gsichter. Aues Gueti weyterhin und härlichi und verschneyti Griäss us dr Schweyz Oliver

Hans-Kaspar
Vor einem Jahr

Hab wieder einmal reingeschaut... herrlich! Aber selber (v.a. China) wollen wir uns das kaum antun. Ich hätte wohl die Nerven nicht (mehr) dazu. Euch weiterhin alles Gute und Gesundheit! Liebe Grüsse!

Seppi
Vor einem Jahr

Hallo ihr beiden Reisenden
Eure Texte zu lesen (immer daneben die entsprechende Karte) und die beeindruckenden Bilder zu bestaunen, ist so spannend, dass man dabei die Zeit und sich selbst vergisst. Auffallend ist unter anderem, dass Begegnungen mit den lokalen Bewohnern mit grossem Respekt und Wohlwollen kommentiert sind. - Danke für euren Blog und die schönen Bilder.
Alles Gute zur Weiterfahrt und liäbe Gruäss /Seppi