Im Vorfeld unserer Reise haben wir ein Buch eines Deutschen Overlanders gelesen, welcher 2016 eine ähnliche Route gefahren ist wie wir. Für seine China-Durchreise hat er im Buch folgenden Übertitel gewählt: «China – und die Frage, wieso wir uns das antun». Und genau diese Frage haben wir uns während unserer 18-tägigen Durchreise fast täglich gestellt. Ursache dafür waren folgende drei Umstände:
1. Wir waren mit unserem eigenen Fahrzeug unterwegs (uiiiihhh, sehr kompliziert).
2. Wir bereisten mit den beiden autonomen Provinzen Xinjiang (Gebiet der Ethnie der Uiguren) und Tibet zwei Gebiete, welche unter besonders rigider Kontrolle stehen.
3. Der von unserer obligatorischen Chinesischen Reiseagentur vorgegebene Zeitplan war äusserst straff. Zudem hatten wir immer einen sogenannten Reisebegleiter mit «on Board». (Dazu funktionierten wir übrigens unsere Toilette zur provisorischen Sitzgelegenheit um, was erstaunlich gut funktionierte und von unseren Guides nach anfänglicher Skepsis jeweils akzeptiert wurde😊.)
Wir wussten aufgrund unserer Vorbereitungen zwar, was in etwa auf uns zukommen würde, es dann aber live zu erleben ist nochmal eine ganz andere Hausnummer. Hier ein paar Müsterli aus unserem Reisealltag: Schon beim Grenzübertritt in Irkeschtam wurden unsere Pässe sowie das Fahrzeug in mehreren Etappen kontrolliert. Mit dem Einreisestempel im Pass waren wir dann schon einmal geduldet. Dies galt aber nicht für unseren Land Rover, auf diesen wartete später noch der Gesundheits-Check sowie das Registrierungsprozedere. Wir trafen nach diesem Stafettenlauf also auf unseren ersten Guide Samy und machten uns auf in Richtung Kaschgar. Auf der gut 240 km langen Strecke befanden sich bereits 5 Polizei-Checkpoints, d.h. anhalten, aussteigen, Passkontrolle, Fotosession (manchmal nur vom Auto, manchmal wir mit Auto, manchmal sämtliche Seiten unserer Reisepässe), zusätzlich noch das Fragespiel: Woher kommt ihr? Wohin geht’s? Sind alle Genehmigungen vorhanden? usw. (Dieses Prozedere sollte sich im weiteren Reiseverlauf täglich mehrmals wiederholen und pro Check-Point auch gerne mal eine Dreiviertelstunde dauern – aber hey was solls, wir haben ja Ferien😉). Auf dem Weg nach Kaschgar mussten wir dann auch noch an zwei weiteren offiziellen Kontrollstellen anhalten. Bei der Ersten wurde unser Gepäck und das Fahrzeug durchsucht (= Minus eine angeschnittene Salami) und bei der zweiten kamen 8 Polizisten aus einem Gebäude gelatscht und machten sich daran, Fotos vom Ländi zu machen und die Fahrgestellnummer mit Ihren Angaben zu vergleichen. Warum es hierzu 8 Personen braucht bleibt eines der ungelösten Rätsel der Menschheit. Erschöpft kamen wir dann irgendwann in der Stadt Kaschgar an und fuhren zu unserem Hotel. Ja, da war auch noch so eine Besonderheit in unserem neuen Reiseland: Wir durften kein einziges Mal im Ländi übernachten und mussten immer in ein Hotel (anscheinend zu unserer Sicherheit, hmmmm, da gesellte sich doch bereits das zweite grosse Rätsel dazu).
Am zweiten Tag stand dann die eigentliche Fahrzeugprüfung auf dem Programm. Wir fuhren diverse Gebäude an, bis wir nach Stunden irgendwann zum Richtigen gelotst wurden. Der Ländi wurde wie bei uns Zuhause auf der «MFK» auf Herz und Nieren geprüft. Zudem wurde uns noch ein provisorisches Chinesisches Nummernschild sowie ein Führerschein ausgestellt. Was eigentlich als Formsache angepriesen wurde, dauerte von 8 Uhr morgens bis 7 Uhr abends. Die Unfähigkeit gewisser Beamten führte bei uns und unserem Guide mit fortschreitender Zeit zu einem immer grösser werdenden Stirnrunzeln. Erleichtert ging es danach zurück in die Stadt, wo wir den Tag und das äusserst leckere Nachtessen zunächst mal verdauen mussten. Beim Schlendern durch die Stadt fielen uns dann auch all die Überwachungskameras auf, welche zu zigtausenden montiert sind. Es gibt wirklich keine Ecke, welche nicht damit abgedeckt ist. Speziell in Kaschgar wurde ein Überwachungsapparat installiert, der wohl weltweit seinesgleichen sucht.
Die folgenden Tage verbrachten wir dann ausschliesslich mit Autofahren. D.h. wir absolvierten jeden Tag 400 – 600 km auf zumindest perfekten Autobahnen. In Kombination mit den vielen Kontrollen und komplizierten Autobahnzahlstellen waren die Tage somit bereits ausgefüllt. Wir fuhren entlang der Taklamakan-Wüste (diese hat ca. die Grösse Deutschlands) via die Städte Aksu und Korla nach Turpan. Hier verabschiedeten wir Samy und bekamen im Austausch unseren zweiten Guide. Dieser präsentierte sich jeweils morgens mit einer so prächtigen Alkoholfahne, als ob er jeden Abend Junggesellenabschied gefeiert hätte. Wir verzichteten danach zumindest vormittags auf das Stellen von Fragen, um die Geruchsemissionen auf erträglichem Niveau halten zu können😊
Wir fuhren also von Turpan weiter nach Hami und Dunhuang, wo wir endlich unseren ersten freien Tag ohne Autofahren geniessen konnten. Danach ging es weiter in die Industrie-Stadt Golmud, wo wir auf unseren tibetischen Guide Tse trafen. Bis dahin war die Landschaft eher eintönig und dies änderte sich zum Glück mit dem weiteren Verlauf unserer Reise. Nach Golmud fuhren wir nämlich auf das mit Bergen und Hochtälern gesäumte Tibet-Plateau und damit befanden wir uns für den Rest der Reise auf einer Höhe von 3'600 bis 5'250 m.ü.M. Ausser etwas Kopfschmerzen in der ersten Nacht sowie schwererer Atmung bei Anstrengung verzeichneten wir und auch unser Fahrzeug glücklicherweise keine weiteren Schwierigkeiten. Auf der fast 1'200 km langen Strecke bis nach Lhasa änderte sich nicht nur die Landschaft, sondern auch die Strassenbeschaffenheit. Da sich hunderte von Lastwagen ebenfalls über die 5’000er Pässe quälen ist der Strassenbelag vielerorts komplett zerfurcht und mit Löchern übersäht. Dies bedeutete noch längere und anstrengendere Fahreinheiten, was die Stimmung der ganzen Besatzung nicht gerade anhob. Endlich erreichten wir danach die Tibetische Hauptstadt Lhasa. Hier genossen wir drei Tage lang die spezielle Stimmung der mystischen und eindrücklichen Altstadt, besuchten das Wahrzeichen «Potala-Palace» sowie diverse andere Tempel und Klöster. Wir erfreuten uns an der lokalen Küche und unser Guide Tse zeigte uns sogar sein Zuhause, was wir als besondere Geste empfanden. Diese Tage waren Balsam für unsere durchgeschüttelte Seele. Gestärkt nahmen wir die restlichen drei Etappen bis an die Nepalesische Grenze unter die Räder und erreichten nach 17 Tagen und über 5'500 km die Grenzstadt Kyrong. Wir freuten uns nun wirklich auf die Ausreise, doch noch einmal zeigte sich am Chinesischen Grenzposten, wer hier der «Scheffe» ist. Da irgendein dämliches Papierchen fehlte, mussten wir mehrere Stunden warten, bis dieses aufgetrieben werden konnte. Verspätet aber überglücklich fuhren wir unter der geöffneten Schranke durch, rüber nach Nepal, wo wir von den Grenzbeamten mit einem Lächeln und «Namaste» begrüsst wurden.
Diese Reisepassage war für uns die bislang grösste Herausforderung, aber natürlich gab es auch grossartige Erlebnisse: Wir hatten zwei super Guides, welche unseren Alltag erleichterten und uns viel von der Geschichte der Uiguren und Tibeter erzählten. Die Erkundung der Städte Kaschgar und Lhasa waren zudem äusserst beindruckend. Wir genossen die erstaunliche Tibetische Bergwelt, durften über diverse sehr hohe Pässe fahren und den Mount Everest mit eigenen Augen sehen. Die stets herzlichen Begegnungen mit der lokalen Bevölkerung, all die Selfies für welche wir posieren durften und nicht zuletzt die täglichen Restaurantbesuche zählen zu unseren absoluten Glücksmomenten.
Das Ganze Paket an Erfahrungen dieser Reisetage möchten wir auf keinen Fall missen. Haben sie uns doch aufgezeigt, was für ein grosses Gut wirkliche, unzensurierte Freiheit ist. Wir konnten Tibet als Touristen verlassen, während dieser Schritt anderen wohl für immer verwehrt bleiben wird.
Kommentar hinzufügen
Kommentare
Hey wow, das isch jo wahnsinning interessant, was ihr bis jetzt alles erläbt händ. So unvergässlichi schöni Moment, do chönnet ihr später einisch no lang devo verzellä. Wünsch euch no wiiterhin e gueti interessanti, gfahrlosi Wiiterreis. Liäbi Griäss, Andrea
Ech be total hin ond wäg vo üchne Erzählige. Das esch au genial, was ehr tagtäglich dörfid erläbe. Ond sooo guet gschriebe! Wiiter so... 😊 Häbid Sorg zo üch & gniessed jede Momänt 😘 Grüessli Rita
Hallo Patrick
Super Impressionen, ich bestaune deinen Mut. Ein solches Unterfangen hätte ich mir auch in den besten Zeiten nie zugetraut. Schön, dass es mit Carmela geklappt hat. Verrückt auch die Fahrt in das Dorf welches du mit dem Fahrzeug von Kathmandu aus angepeilt hast.
Wir wünschen euch einen weitern reibungslosen Verlauf der Reise mit vielen schönen Begegnungen und Erlebnissen.
Kurt und Annemarie